Krisenmanagement auf dem Kreuzfahrtschiff – Was tun bei Unwetter auf hoher See?

Mehr oder weniger durch Zufall landete ich 2013 als Radiomoderator an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Meine Karriere nahm ihren Lauf als Entertainment Manager. Mir wurde sehr schnell klar, dass auf hoher See andere Gesetze gelten als an Land und meine Position an Bord nicht nur Entertainment, sondern auch Führungskompetenz, Teambuilding und Krisenmanagement beinhaltet. Der Umgang mit Naturgewalten, medizinischen Notfällen und anderen Krisen muss klar definiert und mehrfach geprobt werden. Doch wie bereitet man sich auf ein Unwetter oder einen Helikoptereinsatz vor? Dieser Artikel gibt dir Einblicke in meine Erfahrungen als Seefahrer und Krisenmanager. Im letzten Abschnitt stelle ich dir mein Buch “Alle in einem Boot – Was Führungskräfte von Seefahrern lernen können” vor, falls du noch mehr Absurdes und Unglaubliches über meine Zeit auf hoher See erfahren möchtest!

Wie bereitet man sich auf Krisen an Bord vor?

Die Vorbereitung auf mögliche Katastrophen an Bord beginnt bereits vor dem ersten Schiffseinsatz. Jedes Crewmitglied, vom Housekeeper über die Restaurantleitung bis hin zum Kapitän, muss vor dem ersten Aufstieg ein Basic Safety Training absolvieren. Das 5-tägige Sicherheitstraining findet für die deutsche Besatzung in Hamburg oder Rostock statt und beinhaltet sowohl Theorie- als auch Praxisunterricht. Du lernst hier unter anderem:

  • Die Bekämpfung und das Löschen von Bränden an Bord
  • Wie du nach einem Unfall erste Hilfe leistest
  • Bemannen eines Rettungsbootes/Freifallbootes
  • Mann-über-Bord-Manöver
  • Gefahr von Drogen- und Alkoholeinfluss

Neben der Sicherheitsgrundausbildung für Seeleute gibt es eine Woche vor dem Aufstieg noch ein gesondertes Briefing von der Reederei. Jetzt hast du alle Basics kennengelernt, die du für deinen Beitrag zur Sicherheit an Bord benötigst. Es ist jedoch ein Trugschluss, wenn du denkst, dass du jetzt für alles gewappnet bist und dich dem Gelernten nicht weiter widmen musst. Um dein Wissen zu vertiefen, wird das Sicherheitstraining an Bord fortgeführt. Übrigens gilt auf See ein striktes Drogenverbot und eine Promillegrenze von 0,5 außerhalb der Arbeitszeit und 0,0 während der Arbeitszeit. Diese Regelungen gewährleisten, dass die Besatzung immer in der Lage ist, auf eine Krise zu reagieren.

Sicherheitstraining an Bord eines Kreuzfahrtschiffes

Die ersten Tage eines Schiffs-Einsatzes sind geprägt von intensiven Theoriestunden, den sogenannten Inductions. Es ist Pflicht, an den Trainings teilzunehmen und pünktlich zu erscheinen! Sobald du deine Bordkarte erhältst, wird jedem Crewmitglied auch eine bestimmte Sicherheitsaufgabe zugewiesen. Das bedeutet, dass du im Ernstfall (z.B. wenn das Schiff in Seenot gerät) eine bestimmte Position besetzen musst, um Passagiere und Crewmitglieder zu evakuieren. Je nachdem, in welchem Bereich du an Bord tätig bist, kann deine Sicherheitsaufgabe unterschiedlich ausfallen. Mögliche Positionen sind zum Beispiel:

  • Stairway Guide – Du positioniert dich im Ernstfall an einem bestimmten Platz in einem dir zugewiesenen Treppenhaus, um die Gäste auf direktem Wege zu den Rettungsstationen zu geleiten
  • Special Needs Team – Du begleitest Menschen mit Beeinträchtigungen, Rollstuhlfahrer und Patienten aus dem Hospital auf ihre Rettungsstation
  • Leader Pax Master Station – Diese Position wird häufig von einer Führungskraft besetzt, welche die Leitung an einer bestimmten Rettungsstation übernimmt

Als Entertainment Manager habe ich die verantwortungsvolle Aufgabe des Leader Pax Master Station ausgeführt. Hier musste ich Mitarbeiter anweisen und den Überblick über die Gesamtsituation behalten. Ohne ein funktionierendes Team und eine gute Kommunikation untereinander, ist man als Einzelperson an Bord aufgeschmissen. Damit jeder genau weiß, was er zu tun hat, wird mindestens 2x wöchentlich für den Ernstfall geprobt. Diese Übungseinheiten heißen “Crew Drill” und “Pax Drill” bzw. Seenotrettungsübung für die Passagiere. Es ist wichtig, alle Besatzungsmitglieder durch klare Anweisungen, regelmäßige Trainings und gute Kommunikation im Team auf das gleiche Level zu bringen. Hier bewegen wir uns dann auch mal weg von “lieb und freundlich” hin zu purer Ernsthaftigkeit. 

Was passiert bei einem Unwetter auf hoher See?

Unwetter ist nicht gleich Unwetter. Stärkerer Seegang bedeutet also nicht immer, dass ein Schiff sich in Gefahr befindet und evakuiert werden muss. Dennoch gibt es einige Sicherheitsvorkehrungen, welche auch schon bei weniger riskanten Wetterverhältnissen getroffen werden. Dazu zählen zum Beispiel das Ausfahren der Stabilisatoren (seitlich ausfahrbare, bewegliche Flossen am Schiff) und das Schließen der Port Holes (Bullaugen) auf den unteren Decks des Schiffes. In den Restaurants und an den Bars werden alle Gegenstände gesichert, die durch die Wellenbewegungen umher fliegen und kaputt gehen könnten, zum Beispiel Teller, Gläser, Tassen und Besteckständer. Für viele Gäste und auch Crewmitglieder bringt ein stärkerer Seegang leider auch das unangenehme Gefühl von Seekrankheit mit sich. Um dem flauen Gefühl im Magen entgegenzuwirken gibt es einige Seefahrer-Tipps: 

  1. Auch wenn es schwer fällt, essen hilft!
  2. Im Reisegepäck für eine Kreuzfahrt machen sich Tabletten gegen Übelkeit immer gut
  3. Pfefferminztee und Schokolade: Hilft zwar nicht, aber wenn du dich übergeben musst, schmeckt es wenigstens nach After Eight!

Meine eigenen Erfahrungen mit Naturgewalten an Bord

In meinen 6 Jahren an Bord von AIDAcruises habe ich die ein oder andere Krisensituation miterlebt. Auf einer Reise vom Nordkap nach Island hatten wir 10 Meter hohe Wellen. Die kleine AIDAcara, das Mutterschiff der Flotte, wirkte wie ein winziger Ping-Pong-Ball im Meer. Besteckständer und Teller rutschen durch die Gegend. Alles, was nicht niet- und nagelfest gemacht wurde, ging mit lautem Klirren am Boden zu Bruch. Zum Glück haben wir dieses Unwetter alle gut überstanden! Noch heftiger erwischte es uns auf Madeira. Während wir fest im Hafen lagen, knallte das Schiff immer wieder gegen die Pier und trug einen großen Schaden an der Außenwand davon. Wir konnten nicht ablegen und der Situation entgehen. Das war verdammt gruselig!

Ein klarer Blick für den Umgang mit Krisensituationen ist nicht nur an Bord wichtig, sondern auch in jedem anderen Bereich. Ob du dich gerade als Führungskraft an Land, in einer privaten Katastrophe oder in einem Kriegsgebiet befindest – unsere Welt verlangt einiges von uns ab! Deshalb freue ich mich umso mehr, wenn du von meinem Erfahrungsschatz profitieren und dadurch einen guten Umgang mit schwierigen Situationen finden kannst.

Was, wenn es einen medizinischen Notfall gibt?

Jedes Schiff ist mit einem eigenen Bordhospital ausgestattet. Die Passagiere können hier von einem Schiffsarzt und seinem Team versorgt werden, allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Bei einem medizinischen Notfall wie zum Beispiel einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder Schwangerschaftskomplikationen muss unter Umständen Hilfe von Außen angefordert werden. Mitten auf See gibt es dann nur eine Möglichkeit: Einen Helikoptereinsatz. Auch dieser Ernstfall wird in den Drills geprobt. Es ist enorm wichtig, dass die Crew weiß, wie sie handeln muss und gut zusammenarbeitet. Für eine Helikopter-Operation muss das Pooldeck evakuiert und abgesperrt werden. Die Schiffe der AIDA-Flotte sind nicht mit einem Hubschrauberlandeplatz ausgestattet. Kapitän und Pilot haben also ein schwieriges Manöver vor sich, um das Schiff und den Heli auf Position zu halten. Von oben wird ein Arzt oder Helfer abgeseilt, um den Patienten an Bord in Empfang zu nehmen und mit ihm gemeinsam zurück in den Helikopter gezogen zu werden.

Was braucht die Crew, um eine Krise durchzustehen?

Vertrauen und regelmäßige Trainings sind unerlässlich, um eine Krise an Bord zu managen. Eine Schiffscrew muss zusammenhalten und flexibel auf Gefahrensituationen reagieren können. Dazu braucht es Führungskräfte mit Vorbildfunktion. Im Ernstfall stellst du fest, was überhaupt möglich ist. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass sich keiner zu schade ist, um mit anzupacken, ganz gleich welche Position er an Bord besetzt. Wenn es drauf ankommt, macht es keinen Sinn, zu diskutieren. Man muss einfach funktionieren! Danach kann man sich dann zusammensetzen und aufarbeiten, was gut oder schlecht gelaufen ist. Wie lief die Kommunikation im Team? Ist sie verbesserungswürdig? In einer Krise selbst ist lösungsorientiertes Handeln das A und O! Definitiv sorgen solche Situationen dafür, dass die Crew noch enger zusammenwächst.

Was passiert, wenn das Vertrauen an Bord untergeht, zeigen Schiffsunglücke wie das der Costa Concordia im Jahr 2012. Wenn du mehr darüber lesen möchtest, schau gerne in meinen Artikel “Kommunikation als Überlebensstrategie: Was Personaler von einer Schiffscrew lernen können”.

Alle in einem Boot – Was Führungskräfte von Seefahrern lernen können

Das Resumé meiner 6 Jahre an Bord findest du zusammengefasst in meinem Buch “Alle in einem Boot – Was Führungskräfte von Seefahrern lernen können”. Ich wünsche mir von Herzen, dass viele Führungskräfte mein Buch lesen und Werte wie Vertrauen, Respekt und Wertschätzung in ihren Teams kultivieren. In meinem Buch geht es auch darum, sich im Leben etwas zu trauen und eine herbeigesehnte Veränderung wirklich in die Tat umzusetzen. Dazu braucht es Mut und manchmal guten Zuspruch! Ich habe absurde, unglaubliche und spannende Bordgeschichten erlebt und sie mit einem Bezug zur Mitarbeiterführung niedergeschrieben. Interessant ist das Buch vor allem für Teambuilding-Maßnahmen und Manager interkultureller Teams. Seit ich an Bord war, weiß ich: Hätte ich diesen Schritt nicht gewagt, wäre ich jetzt nicht glücklicher Vater, hätte nicht diesen enormen Erfahrungsschatz und auch dieses Buch nicht geschrieben. Es ist also immer alles genau richtig so, wie es gerade ist!

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